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Erwerbsschaden des seit seiner Geburt schwerstbehinderten Kindes

 

Nicht nur der durch die Folgen einer Verletzung an der Ausübung einer Erwerbstätigkeit gehinderte Erwachsene hat Anspruch auf Erstattung seines Erwerbsschadens, auch dem seit seiner Geburt behinderten Kind ist ein solcher Schaden zu ersetzen.

Probleme bei der Schadensregulierung
Bei der Regulierung dieses Erwerbsschadens treten immer wieder Probleme auf.

Oftmals kommt von Seiten des Schädigers bzw. seiner Haftpflichtversicherung der Einwand, der Anspruchsteller habe einen bezifferbaren Schaden nicht nachvollziehbar schlüssig vorgetragen. Man könne ja gar nicht wissen, welchen beruflichen Werdegang das behinderte Kind tatsächlich eingeschlagen hätte. Dabei glaubt man, sich auf eine Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1995 (VI ZR 62/94; NJW 1995, S. 1023) stützen zu können.

In dieser Entscheidung hatte der BGH ausgeführt, dass eine völlig abstrakte Berechnung des Erwerbsschadens nicht zulässig sei. Einem Verletzten, dessen Arbeitskraft im arbeitsfähigen Alter beeinträchtigt worden sei, sei ohne hinreichende Anhaltspunkte kein pauschaler, abstrakt geschätzter „Mindestschaden“ zuzusprechen.

Diese Entscheidung führt entgegen der von den Anspruchsgegnern vertretenen Meinung jedoch nicht dazu, dass das behinderte Kind keinen Erwerbsschaden erhält.

Der BGH hat nämlich in derselben Entscheidung darauf hingewiesen, dass an die Darlegung konkreter Anhaltspunkte keine zu hohen Anforderungen gestellt werden dürfen. In einer späteren Entscheidung (VI ZR 65/98; VersR 2000, S. 233) hat er ausgeführt, es dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass es in der Verantwort-lichkeit des Schädigers liegt, wenn die berufliche Entwicklung des Geschädigten beeinträchtigt worden ist und darauf erst die besondere Schwierigkeit folgt, eine Prognose über die hypothetische Entwicklung anzustellen. Es liege in einem solchen Fall nahe, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen, auf dieser Basis die weitere Prognose anzustellen und verbleibende Risiken mit gewissen Abschlägen zu berücksichtigen.

Wie wird jedoch der Schaden ermittelt, wenn das schädigende Ereignis bereits zu einem Zeitpunkt eintritt, in dem der Betroffene noch nicht im Erwerbsleben stand und noch nicht einmal eine Ausbildung begonnen hatte, wie es bei Geburtsschäden regelmäßig der Fall ist?

Die Rechtsprechung macht deutlich, dass die sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten, konkrete Umstände darzulegen und zu beweisen, die den Rückschluss auf den Eintritt der Voraussetzungen für eine bestimmte Berufswahl erlauben, nicht zu Lasten des geschädigten Kindes gehen dürfen (OLG Karlsruhe 10 U 188/88; VersR 1989, S. 1101).

Da das Schadensereignis selbst die Ursache für die Aufklärungsprobleme hinsicht-lich des Schadensumfangs ist, wird das sich hieraus ergebende Prognoserisiko dem Schädiger auferlegt. Die Darlegungs- und Beweislast des geschädigten Kindes wird hierdurch in erheblichem Maße verringert.

Kommt das Kind ins erwerbsfähige Alter, muss die ihm wegen der Minderung der Erwerbsfähigkeit zuzubilligende Rente gemäß § 843 BGB – diese ist neben der Mehrbedarfsrente zu zahlen – individuell nach den konkreten Lebensverhältnissen bemessen werden. Da bei jüngeren Kindern wegen des eigenen Entwicklungsstands zum Schädigungszeitpunkt noch keine zuverlässige Aussage möglich ist, werden der Beruf, die Vor- und Weiterbildung der Eltern, ihre Qualifikation in der Berufstätigkeit, die beruflichen Pläne für das Kind sowie die schulische und berufliche Entwicklung von Geschwistern herangezogen. Hierzu muss ausführlich vorgetragen werden, um dem Schädiger bzw. dem Gericht die Möglichkeit zu geben, ein konkretes Berufsbild zur Grundlage der Schadensberechnung zu machen.

Berechnung des Erwerbsschadens
Bei der Berechnung des Erwerbsschadens ist von dem Verdienst auszugehen, den ein in dem konkreten Beruf Tätiger im Bezifferungszeitraum erzielt hätte.

Dabei ist auf den Werdegang abzustellen, der in diesem Beruf üblicherweise ge-nommen wird (z.B. Lehre und Gesellentätigkeit). Oftmals ist es schwierig, Angaben über konkrete Vergütungen zu erhalten, wenn nicht gerade auf die Angaben in Tarifverträgen zurückgegriffen werden kann. Es hat sich als hilfreich erwiesen, bei örtlichen Berufsverbänden oder Arbeitgebern nachzufragen, welche Löhne gezahlt werden.

Zu berücksichtigen sind auch Sonderzahlungen wie z.B. Urlaubs- oder Weihnachtsgeld.

Als Erwerbsschaden geltend gemacht werden können auch die Vergütungen, die an Wehrsoldempfänger oder Zivildienstleistende gezahlt werden.

Aus Kostengründen sollte der Erwerbsschaden nach der sog. Nettolohnmethode berechnet werden, d.h. unter Abzug der gesetzlichen Abgaben wie Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen.

Weitere Abzüge sind zu machen für berufsbedingte Aufwendungen für Fahrtkosten, Berufskleidung o.ä. Das OLG Düsseldorf (8 U 117/02) orientiert sich hierbei an den für die Unterhaltsberechnung vorgesehenen Beträgen in der Düsseldorfer Tabelle.

In Abzug zu bringen ist auch das Kindergeld, das das behinderte Kind in der Regel erhält, unter der Maßgabe, dass es unter Berücksichtigung der zugrunde gelegten Vergütung nicht gezahlt worden wäre. Wäre in jedem Fall Kindergeld gezahlt worden, ist kein Abzug vorzunehmen.

Wegen der Unsicherheit der Prognose des beruflichen Werdegangs macht das OLG Düsseldorf (a.a.O.) von dem errechneten Erwerbsschaden einen weiteren prozentualen Abschlag, den es gem. § 287 ZPO auf 25 % schätzt. Damit soll den Unwägbarkeiten Rechnung getragen werden, die sich daraus ergeben, dass der berufliche Werdegang des Klägers allein aufgrund der sozialen und beruflichen Stellung ihrer Familie beurteilt wird. Ferner soll damit berücksichtigt sein, dass der Kläger auch im Rahmen der allgemeinen beruflichen Entwicklung das Risiko hätte, aus privaten oder allgemeinen wirtschaftlichen Gründen nicht ständig über eine Erwerbstätigkeit zu verfügen (gemeint sind allgemeine Lebensrisiken wie z.B. Krankheit oder Arbeitslosigkeit).

Das Landgericht Göttingen (2 O 280/04) unterscheidet bei der Schadensberechnung weiter zwischen der – fiktiven – Ausbildungszeit und der Zeit der vollen Erwerbstätigkeit. Es geht nämlich davon aus, dass der Geschädigte mit dem Beginn der beruflichen Tätigkeit einen eigenen Hausstand begründet hätte. Im Rahmen des Vorteilsausgleichs müsse deshalb ein Abschlag gebildet werden für die Kosten, die der Geschädigte dadurch erspart, dass er keinen eigenen Hausstand finanzieren muss. Als Richtschnur für den nach § 278 ZPO zu schätzenden Betrag könne der BAföG-Höchstsatz dienen. Dieser stelle den Betrag dar, den ein junger Mensch nach dem Gesetz und durch Gutachten belegten Schätzungen im Monat in etwa benötigt, um den Lebensunterhalt einschließlich eines eigenen Hausstands zu finanzieren. Dieser BAföG-Höchstsatz könne jedoch nicht in vollem Umfang angerechnet werden, da er neben den Kosten für Miete und die Unterhaltung eines eigenen Hausstands auch andere Kosten abdecke, die der Geschädigte auch tatsächlich – unabhängig von der Behinderung und einer potentiellen Berufstätigkeit – aufbringen muss. Es sei deshalb ein Abzug von insgesamt 400,00 € gerechtfertigt, wobei hierdurch die Kosten für die berufsbedingten Aufwendungen ebenfalls mit abgedeckt seien.

Leistungen Dritter
Von dem letztlich ermittelten Schadensbetrag sind die Leistungen abzuziehen, die der Geschädigte wegen seiner Erwerbsunfähigkeit von dritter Seite erhält, wie z.B. der Lohn für die Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte, Taschengeld o.ä.


Steuerrechtliche Situation
Da es sich bei der Erwerbsschadensrente um eine Lohnersatzleistung handelt, muss sie versteuert werden. Die sich hieraus ergebende Steuerlast kann in der Regel nicht sofort berechnet werden, sondern ist erst dem Einkommenssteuerbescheid zu entnehmen. Die sich aus der Vereinnahmung der Erwerbsschadensrente ergebende steuerliche Mehrbelastung ist vom Schädiger zu ersetzen.

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