Finanzierung der häuslichen Intensivpflege


Eine gute medizinische Versorgung ist ursächlich dafür, dass viele von einer intensivmedizinischen Behandlung in Form einer künstlichen Beatmung abhängige Kinder soweit stabilisiert werden können, dass sie mit Teil- oder Dauerbeatmung für Monate oder Jahre überleben können. Die hiermit verbundene Intensivpflege wird in der Regel in Kliniken oder Heimen durchgeführt. Mit Unterstützung von Ärzten und unter Zuhilfenahme eines spezialisierten Pflegedienstes können beatmungspflichtige Kinder jedoch auch zuhause im Kreis der Familie betreut werden. Dies gibt den Betroffenen zwar die Chance auf ein gemeinsames Familienleben, bedeutet aber gleichzeitig einen massiven Aufwand Technik und Pflege.

Unter diesen Bedingungen kann eine gewisse Normalität nur erreicht werden, wenn zum einen die technische und personelle Versorgung des erkrankten Kindes sichergestellt, zum anderen die Finanzierbarkeit der heimischen Pflege gewährleistet ist.

Technische und personelle Versorgung des beatmungspflichtigen Kindes
Bei der Pflege des beatmungspflichtigen Kindes handelt es sich in der Regel um eine Rund-um-die-Uhr-Pflege, die nur unter Zuhilfenahme von professionellen Pflegekräften gewährleistet werden kann, da eine permanente Überwachung des Kindes notwendig ist, in deren Rahmen regelmäßig Maßnahmen der Behandlungspflege anfallen wie z.B. Absaugen, Kontrolle der Beatmungsgeräte, Wechsel und Pflege der Trachealkanüle etc. Parallel dazu sind physikalische Maßnahmen durchzuführen, Medikamente und Sondennahrung zu verabreichen. Diese aufwendige Pflege erfordert ein ganzes Team von Pflegekräften, die einander im Schichtdienst abwechseln und Tag und Nacht zur Verfügung stehen. Dabei muss der Pflegedienst auch in der Lage sein, krankheits- und urlaubsbedingte Ausfälle zu ersetzen, ohne dass auf die Eltern als Ersatzpflegekraft zurückgegriffen werden muss. Nur so kann einem erschöpfungsbedingten „Ausbrennen“ der Eltern vorgebeugt und der Verbleib des Kindes in der häuslichen Umgebung auf Dauer sichergestellt werden.

Grund- und Behandlungspflege
Die meisten behinderten Kinder beziehen Leistungen der Pflegekasse gem. SGB XI. Je nach Pflegestufe werden für Maßnahmen der Grundpflege und der häuslichen Versorgung Sachleistungen in Höhe von 420,00, 980,00 oder 1.470,00 € zur Verfügung gestellt.

Da die häusliche Intensiv- und Beatmungspflege sehr personal- und damit kostenintensiv ist, reichen diese Beträge nicht aus, um die anfallenden Kosten abzudecken.

Häufig wird dabei übersehen, dass es sich bei der häuslichen Intensivpflege nicht um Pflegeleistungen im Sinne des SGB XI, sondern dass es sich um Behandlungspflege nach § 37 SGB V handelt.

Unter Behandlungspflege versteht man alle Pflegemaßnahmen, die nur durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern und typischerweise nicht von einem Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden. Ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege besteht nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang nicht pflegen und versorgen kann.

Die Voraussetzung für die Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege ist eine vertragsärztliche Verordnung (§ 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 SGB V).

Zur Behandlungspflege zählt auch die ständige Beobachtung eines Patienten, um jederzeit medizinisch-pflegerisch eingreifen zu können, wenn es zu Verschlechterungen der Atmungsfunktion und Krampfanfällen kommt (LSG NRW L 16 B 43/07 KR ER).

Finanzierung der Pflege
Anders als bei der Grundpflege gibt es bei der Behandlungspflege keine Leistungsobergrenze. Wird also eine 24-stündige Pflege verordnet, ist diese grundsätzlich von der Krankenkasse zu bezahlen – und zwar ohne Zuzahlung seitens des Betroffenen und seiner Angehörigen.

Das Problem für die Patienten der häuslichen Intensivpflege besteht jedoch darin, dass nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Konkurrenzregelung zwischen Behandlungs- und Grundpflege, die zu einer Verlagerung der Leistungszuständigkeit der Krankenkasse auf die Pflegekasse führen kann, dann vorliegt, wenn eine Maßnahme der Behandlungspflege in einem notwendigen zeitlichen Zusammenhang mit einer Maßnahme der Grundpflege steht oder die Maßnahme der Behandlungspflege ein untrennbarer Bestandteil einer Maßnahme der Grundpflege ist (BSG B 3 KR 2/01 R).

Die Folgen hiervon können für die betroffenen Familien dramatisch sein. Entfallen nach der Rechtsprechung des BSG nämlich 4 Stunden täglich auf die Grundpflege, müssen ca. 110 Stunden pro Monat mit dem Pflegegeld – bei Pflegestufe III werden Sachleistungen im Wert von 1.470,00 € übernommen – finanziert werden. Dass dies nicht klappt, liegt auf der Hand. Es werden also Zuzahlungen in erheblicher Höhe fällig. Im Notfall bleibt nur der Gang zum Sozialamt.

Dieses Ergebnis kann nur dann vermieden werden, wenn kein Antrag auf Pflegegeld gestellt wird.

Zu erwähnen ist noch, dass die Rechtsprechung des BSG zu diesem Thema nicht unumstritten ist (s. SG Stuttgart S 8 KR 4681/07 ER; LSG Baden-Württemberg L4 KR 4793/07).

Einstweiliger Rechtsschutz
Verfahren vor den Sozialgerichten dauern bekanntlich unverhältnismäßig lang. In dieser Zeit werden die Kosten der häuslichen Pflege von der Krankenkasse nicht oder nur zum Teil übernommen. Die Mittel der betroffenen Familien reichen in der Regel nicht aus, die hierdurch entstehende Finanzierungslücke über einen längeren Zeitraum zu überbrücken. In dieser Situation sollte einstweiliger Rechtsschutz in Anspruch genommen werden. Die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung wird darin gesehen, dass es im Interesse des Betroffenen ist, zu Hause betreut und gepflegt zu werden. Diese sinnvolle Pflege scheitert jedoch in der Regel an der fehlenden Kostensicherheit. In einem solchen Fall ist es dem Kläger nicht zuzumuten, eine Entscheidung im Hauptverfahren abzuwarten (Bay. LSG L 4 KR 232/06).

Häusliche Pflege vs. stationäre Unterbringung
Erfahrungsgemäß ist stationäre Pflege sehr viel kostengünstiger als häusliche Pflege. Letztere kann – bei einem Pflegebedarf von 24 Stunden täglich - zwischen 25.000,00 und 30.000,00 € im Monat kosten.

Für die Betroffenen stellt sich deshalb die Frage, ob die Krankenkasse sie auf die stationäre Pflege verweisen und die Kostenübernahme für die häusliche Pflege verweigern kann.

Mit diesem brisanten Thema befasste sich das Sozialgericht Hamburg in seinem Urteil vom 13.12.2007, S 50 SO 584/05. Obwohl es im Heim zu Pflegefehlern gekommen war (Tubus herausgerutscht, Oxymat defekt, Pat. konnte Notfallklingel nicht bedienen), sah es das Gericht als für den Kläger nicht unzumutbar an, in einer stationären Einrichtung gepflegt zu werden. Sinngemäß lautete die Argumentation des Sozialgerichts wie folgt:

Es reicht zunächst aus, wenn es sich um eine „geeignete“ stationäre Einrichtung handelt, in welcher der Berechtigte die erforderlichen Leistungen entgegennimmt. Die Eignung erfordert eine objektivierende Sicht des Einrichtungsbedarfs. Ob eine Einrichtung geeignet ist, beurteilt sich i.d.R. nach dem Inhalt der Leistungsvereinbarung nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII, insbesondere der Personal- und Sachausstattung. So ist die Einrichtung von vornherein ungeeignet, wenn ihre Leistungen bereits unabhängig vom individuellen Bedarf nicht die in § 76 Abs. 1 SGB XII geforderte Leistungsqualität aufweisen und die nach § 9 Abs. 1 SGB XII geforderte individuelle Bedarfsdeckung durch die vereinbarten Pflegpauschalen nicht möglich ist.

Nach § 13 Abs. 1 S. 6 SGB XII sind bei der Unzumutbarkeit die persönlichen, familiären und örtlichen Umstände angemessen zu prüfen. Bei der Frage der Unzumutbarkeit handelt sich um eine Rechtsfrage, zu deren Beantwortung Wünsche des Leistungsberechtigten nicht mit einzubeziehen sind, da sich diese ausschließlich auf Gestaltungsfragen richten können. Es kommt vielmehr auf das Gewicht der Gründe an, die eine Ablehnung der stationären Pflege zu tragen vermögen. Es führt also nicht bereits jede denkbare Verbesserung der Pflegesituation durch die Entscheidung für häusliche Pflege zur Unzumutbarkeit der stationären Pflege. Entscheidend ist, ob die mit einer Aufnahme in einer vollstationären Einrichtung verbundene Veränderung der Lebensumstände nach allgemeiner Anschauung vertretbar und für den Leistungsberechtigten tragbar ist.

Als persönliche Umstände, die eine Unzumutbarkeit der stationären Pflege begründen können, kommen z. B. das Lebensalter des Betroffenen (Verweisung eines jungen Menschen in ein Altenheim), der drohende Verlust sozialer Bindungen oder nach ärztlicher Prognose drohende Gesundheitsschäden aufgrund eines Heimaufenthaltes in Betracht. Da die Sozialhilfe prinzipiell den familiären Zusammenhalt festigen soll, kann der drohende Verlust von Bindungen zur Familie zur Unzumutbarkeit der stationären Unterbringung führen. Im Rahmen der örtlichen Umstände kommt es in erster Linie auf die Entfernung zwischen Wohnort und Einrichtung an. Auch hier steht die Schwächung bisheriger sozialer Kontakte im Vordergrund.
Angesichts dieser Argumentation dürfte bei Kindern, die zuhause gepflegt und betreut werden sollen, grundsätzlich von der Unzumutbarkeit einer stationären Pflege auszugehen sein – unabhängig von der Kostenfrage.

Copyright © 2016 Rechtsanwältin Maigatter-Carus. Alle Rechte vorbehalten.

Joomla 1.6 Templates designed by Joomla Hosting Reviews