Die Beckenendlagengeburt
In der Regel wird ein Baby aus der sog. Kopflage, bei der das Köpfchen als erstes den Geburtskanal verlässt, geboren.
Anders ist dies bei der Beckenendlagengeburt. Bei dieser liegt der Steiß vorne, was zur Folge hat, dass bei einer natürlichen Entbindung zuerst der Körper geboren wird und zuletzt das Köpfchen. Die Beckenendlage wird deshalb auch als Steißlage bezeichnet.
Die Beckenendlage ist heutzutage durch sorgfältige vaginale und Ultraschalluntersuchungen bereits vor der Geburt bzw. spätestens bei der Aufnahmeuntersuchung zu diagnostizieren. Es darf nicht mehr vorkommen, dass der Geburtshelfer durch eine Beckenendlage überrascht wird.
Jede vaginale Beckenendlagengeburt stellt eine Risikogeburt dar. Auch unter optimalen klinischen Bedingungen können Probleme auftreten, die Verletzungen sowohl des Kindes als auch der Mutter zur Folge haben. Bedingt sind diese Probleme durch den Geburtsmechanismus bei Beckenendlage, der von dem bei einer normalen Geburt abweicht. Eine zügige Geburt des Kopfes nach der Geburt des Rumpfes, der die Geburtswege nicht im ausreichend Maß weitet, ist in der Regel nicht zu erwarten. Hier ist ärztliches Eingreifen regelmäßig erforderlich, um das Kind zügig zu entwickeln. Mit der Geburt des Körpers wird nämlich die Sauerstoffversorgung des Kindes unterbrochen, da die Nabelschnur zwischen dem Hals des Kindes und dem Muttermund eingeklemmt wird. Es kommt zwangsläufig zu einer Minderversorgung des Kindes mit Sauerstoff. Deshalb muss das Kind in kurzer Zeit vollständig geboren werden. Dazu wendet der Geburtshelfer spezielle geburtshilfliche Handgriffe an. Gelingt die rasche und planmäßige Entwicklung des Kindes nicht, können schwerste Hirnschäden aufgrund von Sauerstoffunterversorgung resultieren.
Oft kommt es auch zu schweren traumatischen Schäden, wenn der Geburtshelfer in Panik gerät und am kindlichen Kopf zerrt, um diesen möglichst schnell entwickeln. Zu nennen sind hier intrakranielle Blutungen bei zu schneller Kopfdekompression bei Entwicklung des Kindes sowie Gefügelockerungen in der Wirbelsäule, Verletzungen der Halswirbelsäule, des Pharynx, und des Humerus, Clavicula- und Femurfrakturen sowie Erb’sche Lähmungen durch Zug an der Halswirbelsäule und Verletzung des Plexus brachialis.
Diese Risiken können durch den sog. primären Kaiserschnitt, d.h. eine Schnittentbindung vor Beginn der Wehen, weitestgehend vermieden werden.
Das bedeutet jedoch nicht, dass im Fall einer Beckenendlage eine vaginale Entbindung nicht möglich ist. Wegen der bestehenden Risiken sollte eine solche jedoch nur unter optimierten geburtshilflichen und pädiatrischen Bedingungen gewagt werden.
Von entscheidender Bedeutung ist in einem solchen Fall die Aufklärung der werdenden Mutter über die Risiken der Beckenendlage. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass diese Risiken von den Ärzten häufig bagatellisiert werden. Die Eltern werden oft damit beruhigt, dass man ja jederzeit einen Kaiserschnitt machen könne, wenn Probleme auftreten. Es wird deshalb der Rat erteilt, die vaginale Entbindung auf jeden Fall zu versuchen.
Diese „Beratung“ ist falsch. Abgesehen davon, dass schwerste Hirnschädigungen mit der Folge einer schwersten Mehrfachbehinderung infolge von Sauerstoffmangel nicht einmal ansatzweise erwähnt werden, kann auch nicht beliebig auf einen Kaiserschnitt umgeschaltet werden. Denn nach der Geburt des Steißes ist ein Kaiserschnitt nicht mehr möglich.
Die werdenden Eltern müssen sich bewusst machen, dass die Entbindung einer Patientin mit Beckenendlage besondere Anforderungen an die Erfahrung und das Können des Geburtshelfers und an die Versorgung des Neugeborenen stellt. Sie sollten bei der Auswahl der Klinik. in der die vaginale oder abdominale Beckenendlagen‑Entbindung stattfinden soll, folgende Punkte beachten und im Vorfeld der Entbindung auch vom Arzt erfragen:
1. Wird die Geburt von einem erfahrenen Gynäkologen durchgeführt? Wie viele Beckenendlagengeburten nimmt dieser pro Jahr vor?
2. Erfolgt die vaginale Geburt in Sectiobereitschaft, d.h. kann binnen kürzester Zeit ein Kaiserschnitt vorgenommen werden?
3. Ist sichergestellt, dass bei der Geburt ein in der Reanimation von Neugeborenen er-fahrener Arzt anwesend ist?
4. Ist gewährleistet, dass – sollte es zu Komplikationen kommen – die Versorgung des Neugeborenen durch einen Pädiater erfolgt?
5. Ist im worst case die Verlegung des Neugeborenen in eine neonatologische Intensivabteilung zeitnah und ohne größere Fahrtstrecke möglich?
Sind die notwendigen Voraussetzungen für eine Beckenendlagen Geburt aus personellen oder organisatorischen Gründen nicht sicherzustellen, sollte die Geburt in einer anderen, ausreichend ausgestattete geburtshilfliche Klinik erfolgen.
Für Eltern, deren Kind bei einer vaginalen Beckenendlagengeburt eine Schädigung erlitten hat, stellt sich die Frage, ob sie im Vorfeld der Geburt von den Geburtshelfern über deren spezifische Risiken und über die Möglichkeit einer Schnittentbindung umfassend aufgeklärt worden sind. Ist dies nicht der Fall, kann die Aufklärungsrüge erhoben und Schadensersatz für das Kind verlangt werden.